Tankwart
(Kunstgeschichte über einen Atelierbesuch bei Dominik Wohak)
In unmittelbarer Nähe der Würm, am Rande von Pasing, liegt im Hinterhof die Halle einer ehemaligen Schlosserei, die Dominik Wohak als Atelier nutzt.
Schnieke ist sein Atelier und schnieke ist auch er, als er mich anlässlich des vereinbarten Besichtigungstermins vom Bahnhof Pasing abholt und wir zu Fuss die Idylle seines Ateliers – zwischen Einfamilienhäusern und prächtig bepflanzten, blühenden Gärten bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel – aufsuchen.
Nikos hellblau kariertes Hemd ist pikobello und abwaschbar. Er trägt eine Baseballkappe wie seine Creamer, die Gemälde von den scherenschnittähnlich gestalteten Schaumschlägern in Baggys, T-shirts und coolen, breitbeinigen Posituren. Ihren Namen verdanken die Creamer ("Creamer" heisst auch Kaffeeweisser) übrigens dem hohen Weissanteil in der Zusammensetzung der Farblasuren.
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Niko ist richtig schnieke und er hat den von mir gewünschten Milchkaffee, anläßlich meines Besuches, in einer Thermoskanne vorbereitet und entgegen seiner sonstigen Gewohnheit "Ohne Zucker": "Halt", hat er sich beim Einfüllen gedacht, "könnte sein, dass sie keinen Zucker im Milchkaffee mag." Und er hat recht gehabt.
Ich hatte mich anlässlich meines Atelierbesuches so richtig nett gemacht: Röckchen, rote Ballerinas und ein gestreiftes, kurzes T-Shirt. Am liebsten hätt’ ich mir einen Pferdeschwanz gemacht, den Pony mit ein bisschen Pomade nach hinten gelegt und einen Petticoat angeworfen.
Kaum komme ich im Atelier an, habe ich die Wahl, mütterliche Freundin zu spielen oder scharfe Mieze. Also fühle ich mich auf der Stelle wie ’ne scharfe Mieze, die bei ’nem ordentlichen Tankwart zu Gast ist. Einem, der was auf sich hält, auf seine Berufsehre und darauf, dass er sich auskennt.
Er überlässt nichts dem Zufall. Und so öffnet er die Tore weit, rückt mir einen Stuhl in die Sonne, weil es draussen so viel wärmer ist und bringt mir den Milchkaffe in einer Tasse, die er noch einmal extra entstaubt und schon reden wir über "Oktanzahlen".
Die korrekte Oktanzahl in der Spritmischung ist schliesslich wichtig – vor allem für die kleinen, roten Flitzer, die in meiner Fantasie vor dieser Garage parken, um zu tanken. Ich seh ihn, den sachverständingen Tankwart, wie er die Flitzer betankt, den Tankstutzen vor und nach dem Einfüllen seines sauberen Sprits mit einem weichen Lappen abwischt (wie eben ein Cowboy fast zärtlich und verklärt noch mal in seinen Revolver nachbläst, wenn er geschossen hat) und ich sehe ihn, wie er am Benzinfilm um den Tankdeckel herum erkennt, mit welchem Fusel der Wagen zuvor betankt worden ist. Der Mann hier weiss, was Autos und Frauen wünschen und erkennt Gerüche nicht nur an der Farbe. Er ascht in einen blutrot lackierten Ascher mit Fußständer, dessen Aschengehäuse an den Gipfel einer fünfziger Jahre, amerikanisierten Moscheespitze erinnert.
Den Toren gegenüber, an der Rückwand der Garage, hängen die neuesten Arbeiten von Dominik Wohak. Und ich sitze hier, plötzlich am Rande der Wüste Nevada, an einem einsamen Stop-Inn, an einer Landstrasse. Ich sitze hier mitten im Film, in der Hitze, wo gekühlte Getränke keine Selbstverständlichkeit aber purer Service sind. Manchmal fährt ein Auto vorbei, auf der endlosen Strasse, quer durch die Wüste und ich höre die Musik von "lonely cowboys". Ab und zu ein Lüftchen und darin eingeschlossen ein Wölkchen Farbgeruch. Träumen, eine Zeitreise träumen durch Landschaften, Wirklichkeiten und vor allem durch ein ambivalentes Selbstverständnis: Pfadfinderehre oder Tankwartehrenwort.
Als "Tankwart" befüllt Dominik Wohak seine Bilder, die solange mit farbigen Lasuren und bindenden Zwischenschichten bedeckt werden, bis der gewünschte Grad der Farbsättigung, der Farb–, Raum– und Gegenstandserscheinung erreicht ist. Das kann lange dauern und ist auch mit ’nem echten Tankwartgeheimnis verbunden. Mir verrät er’s. Das würde er nicht jedem sagen. Dafür hat er zu lange gebraucht, um das alles rauszukriegen. Das ist auch das Allererste, was ich zu den Bildern sage, die aus dem Hintergrund bis in den vordersten Vordergrund wirken, den Raum räumlich-atmosphärisch durchsetzen und prägen und meine Zusammenkunft mit dem "Tankwart" erfinden.
Ich sage: Mensch, dafür muss man ganz schön viel wissen, um die Bilder so aussehen zu lassen. Ist ja ungeheuerlich. Das sieht man richtig und das sieht man wirklich. Dabei sieht das Ganze so einfach aus: z.B. vier Leinwände, quer übereinander gehängt, davon zwei mal zwei Pärchen, zwei oben, zwei unten und die Leinwände selbst zweifarbig, in der Mitte geteilt durch einen Grat, der an Profil, Charakter und Spannungsbogen eines Gebirgsrückens vor dem Himmel erinnert.
Der Berg ist schwarz, der Himmel farbig. Berg und Himmel in einem einheitlichen Bildraum, der vor der Leinwand zu liegen scheint. Daran unmittelbar, wie ein Dominostein anknüpfend, die zweite Leinwand, die das schwarze Gebirge in einen Gebirgssee zu spiegeln scheint: Nur, hier gibt es weder eine Spiegelung - das gespiegelte Gebirge sieht vollkommen anders aus - noch gibt es einen See, aus dem dieses Gebirge als Spiegelung entstehen könnte. Trotzdem, es sieht so aus und bei all der offensichtlichen Täuschung, fühlt sich das Gehirn ein bisschen trotzig und entzündet an, weil es immer wieder diese Bilder und Sinngebungen erzeugt und als sichtbar vermeldet. Hier ist so einiges zu sehen, was gar nicht da ist. Je länger, je lieber.
Gegenständliche Welten, hinter dem Gebirgszug aufscheinende Lichter, die Kühle oder Wärme der Luft und vielleicht sogar hier und da ein einsamer Vogel, der seinen eigenen Schrei als Echo aus den Felsen im Vorüberflug wieder einfängt. Luis Trenker wäre glücklich gewesen bei soviel Panorama und soviel Gebirgsromantik. Hey, Dominik, sagt die Mieze, Deine Bilder sind ja schärfer als jede Fototapete mit Alpenblickspanorama.
Permanent werden Illusionen erzeugt. Alles ist da, die ganze, gegenständliche Welt: das Leuchten über den Wipfeln, der Sonnenaufgang und der Sonnenuntergang und zugleich nichts dergleichen. Hier wird nicht gelogen, nichts von alledem: wohl temperiert ragen hier sorgfältig ausgetüftelte Amplituden zweier verschiedenfarbiger Bildflächen ineinander, die jenseits von James Dean, ziemlich genau wissen, was sie tun. Sie wissen vor allem, wie sie klingen. Ja, irgendwie machen sie Sound.
Der Kopf der Mieze, der jetzt eher in der Bronx zu finden ist, bei der Musik und den Gesten ihrer Hip–Hop–Helden – die lobt den Subwoofer, der unter all dem drunter liegt, diesen antreibenden, untergründigen wiederkehrenden Herzschlag einer Musik, die ’ne ganze Menge zu sagen hat, während sie von links nach rechts vorübergeht, in den Samples einer Leinwandinstallation, die sich wie eine Tonkurve von links nach rechts fortbewegt, in beliebiger Länge. Höhen und Tiefen der Musiklandschaft, die sich hier zu erkennen gibt: in satten Sounds, die die Sinne sättigen und niemals zu laut sind. Satt ist echt etwas ganz anderes als aufdringlich, trashig oder als aus dem Rahmen fallend.
Nee, sagt die Mieze, das Ambiente für deinen Subwoofer muss ja erst noch erfunden werden. Das ist ja so edel. Passt super in so ein Studio, so mit Mischpult, Super–Anlagen, ja irgendwie in ein Studio, wo man sich ’nen klasse Sound anhören kann. Ja, in so ein Studio, in das man reinkommt, sich in einen fetten Sessel sinken lässt und dann geht so was los im Raum, verschwindet man total in diese Bilder, in diese Fieber– und Bewegungskurven, ja, man verschwindet total in den Groove dieser Bilder, die sich auf alle Sinne übertragen. Ein esoterischer Farbcocktail ist das hier nicht – aber auch nicht so weit davon entfernt, weil das, was der weiss, wissen deine Bilder schon lange. Ja, ist was für Tonstudios, für Filmstudios, für schicke Einrichtungen und für so Typen, die in ihrer Wohnung auch einfach mal auf'm Sofa sitzen bleiben, an die Wand und auf ein Bild stieren und sich echt total selbst vergessen, weil sie entlang deiner "Coastlines" verschwinden, weil sie anfangen zu wandern, sich fortzubewegen, in diesen stummen Rhythmen, in denen sie so richtig gut draufkommen und mal echt wieder merken, wie gut sich das anfühlt, in irgendwelche Fantasien abzutauchen. Die Westcoast sieht ja auch total aus, wie so eine Drachenkralle, ein Teil davon jedenfalls.
Bis zu dreissig Schichten liegen übereinander und manchmal würden ihn seine Bilder an der Nase entlang führen, erzählt mir der Tankwart. Schicht für Schicht, würde etwas nicht stimmen. Man wüsste nicht so genau was, aber stimmen würde es einfach nicht. Weil es eben nicht wirklich ein Rezept für die richtige Oktanzahl gibt, für die richtige Farbsättigung.
Wohak erzählt mir über die Eigenschaften der Farben, die er verwendet. Er legt insbesondere Wert auf die "Farbtongarantie", die den gleichen Farbton auch nach Jahren erhältlich macht. Die Wirkung seiner Gemälde ist verblüffend.
Hey, Dominik, wie machst Du das eigentlich, dass in den Bildern alles drin ist: Sound, Geschichten, Dinge, Geschmack, Know-how, echt saubere Arbeit, alle Achtung Mann, Gefühl, ja echt, ein total super feeling. Auf Deine Bilder kann ich mich verlassen. Das gefällt mir an Dir.
Der Milchkaffe ist übrigens auch supergut und die Kekse, die deine Freundin gebacken hat, die sind unschlagbar. Haste noch einen, bevor ich mich vergess’ hier....?
© Cornelia Kleÿboldt, M.A.